POLARITÄTEN . . . zu den Keramiken der Andrea Müller

Spontanität und Disziplin — mit diesen unvereinbar wirkenden Charakteristika lässt sich das Schaffen von Andrea Müller wohl am treffendsten beschreiben: die widersprüchlichen Eigenarten werden bei ihr zu einander bedingenden Gegenpolen, in deren Kraftfeld das Werk entsteht.

So wird der raue, schwer zu bändigende Ton, den sie für Raku-Gefäße bevorzugt, zu klaren, strengen Formen, Variationen stereometrischer Grundkörper wie Kugel, Ovid oder Zylinder mit meist straff gespannter Wandung.

Dieses Material muss es sein, soll die Arbeit jene „offene“ Oberfläche behalten, die der präzisen Form Lebendigkeit verleiht. An der Außenhaut — wenn auch ganz bewusst nicht überall — darf zutage treten, was eigentlich die Substanz des ganzen Gefäßes ist.

Glasuren werden zurückhaltend, formunterstreichend eingesetzt. Manchmal gibt es durch „malerische“ oder zeichenhafte Farbakzente oder durch Oberflächenverletzungen ein Moment der Irritation.

Typisch für ihre Porzellangefäße ist das Glattpolieren bestimmter Flächen, bis ein metallischer Glanz entsteht, etwa auf dem immer sehr sorgsam gestalteten Rand der Öffnung, der wie eine Spange die Gefäßform zusammenfaßt. Das grobe, oft aufgebrochene Material der kraftvollen Rakugefäße steht im vermeintlichen Kontrast zu den schwarz/weiß/grau gefärbten Porzellangefäßen die zart, verletzlich und edel die Grundformen zelebrieren.

Vorrang bei den Arbeiten von Andrea Müller hat stets das kraftvolle, raumgreifende und raumhaltige Volumen. Sie versteht Gefäße vom Skulpturalen her — bezeichnenderweise war Bildhauerei ihr Studienschwerpunkt.

In dieser Spannung zwischen Disziplin und Unmittelbarkeit liegt die Stärke und Eigenart der Arbeiten von Andrea Müller, liegen Möglichkeiten und künstlerische Aussage, die sie der Materie Ton abgewinnt.

Auszug aus Text von: Prof. Dr. Florian Hufnagl.
Die neue Sammlung | Staatliches Museum für angewandte Kunst München und Design in der Pinakothek der Moderne, München